Einschaltung der Kommunalaufsicht – Erläuterung eines demokratischen Prozesses

Wir, die Fraktion Bündnis90/Die Grünen der Stadt Pohlheim, haben die Kommunalaufsicht eingeschaltet, weil wir die Verfahrensweise der Pohlheimer Mehrheit aus CDU und Freien Wählern zur Einbringung der Pohlheimer Nachtragshaushaltssatzung 2020 für fragwürdig und als nicht gesetzeskonform betrachten.

In der Presse, in den sozialen Medien und in der Stadtverordnetenversammlung vom 3. September wurde unser Vorgehen als Wahlkampfgetöse und mehr oder weniger als Querulantentum abgetan.

Diese Abwertung unserer politischen Arbeit zeigt uns, wie schwer es ist, komplexe kommunalrechtliche Prozesse zu verdeutlichen und wie schwer es als Minderheit ist, Kommunalrecht gegen eine Mehrheit durchzusetzen und dies in der Öffentlichkeit zu vermitteln.

Damit Demokratie mit ihren manchmal komplexen Prozessen Akzeptanz erfahren kann, braucht sie Transparenz. Darum bemühen wir uns mit dieser Richtigstellung.

Vorgeschichte

In §51a HGO wurden im Frühjahr vom Hessischen Landtag Regelungen getroffen, die sicherstellen sollen, dass Kommunalparlamente auch im Falle eines akuten pandemischen Infektionsgeschehens handlungsfähig bleiben und dringende Entscheidungen getroffen werden können.

Dazu soll unter gesetzlich festgelegten Bedingungen ein „Notausschuss“ vorläufige Entscheidungen anstelle einer Stadtverordnetenversammlung treffen können.

Obwohl Anfang Juli kein aktuelles Infektionsgeschehen im Landkreis vorlag, hatte damals schon die Pohlheimer Mehrheit darauf gedrängt, als „gentlemen’s agreement“ eine auf 50% der Mitglieder verkleinerte Stadtverordnetenversammlung stattfinden zu lassen.

Und das obwohl u.a. über den Offenlegungsbeschluss Garbenteich Ost, über das Klimaschutzkonzept der Stadt Pohlheim, bei dessen Erstellung auf Grund der Coronapandemie kein städtisches Gremium beteiligt war, oder über die Straßenausbaubeiträge entschieden wurde – alles sehr sehr wichtige Themen für die Stadt und insbesondere auch für uns Grüne.

Schon damals führten wir an, dass in städtischen Räumen eine reguläre Stadtverordnetenversammlung unter Beachtung aller Abstandsregelungen problemlos möglich sei.

Wir stimmten diesem Vorgehen dann unter der Prämisse zu, dass das gentlemen’s agreement für diese eine Sitzung gilt und dass die Sitzung per Telefon von den Stadtverordneten mitverfolgt werden kann, die daran nicht teilnehmen durften. (Die Tonqualität war dann leider so schlecht, dass die Stadtverordneten am Telefon nach einer halben Stunde entnervt den Hörer auflegten).

Einbringung der Nachtragshaushaltssatzung 2020

Vor der Sitzungsrunde nach den Sommerferien stand plötzlich wieder der Wunsch des Stadtverordnetenvorstehers im Raum, dass die Stadtverordnetenversammlung erneut verkleinert tagen sollte.

Wir stimmten diesem Vorgehen nicht mehr zu, weil genügend große Räume zur Verfügung stehen und es in Pohlheim kein akutes Infektionsgeschehen gab.

Mit Email vom 12. August 2020, 15:16 Uhr wurde uns dann seitens der Verwaltung bekannt gegeben, dass die Nachtragshaushaltssatzung 2020 am 17. August 2020 in einem Haupt- und Finanzausschuss (HFA) eingebracht werden soll, der nach §51 a HGO anstelle der Stadtverordnetenversammlung einberufen wurde.

Dann stellte sich heraus, dass diese Sitzung gar nicht stattfinden sollte; weder physisch noch virtuell bspw. als Video- oder Telefonkonferenz.

Schon die Einladung zu dieser Sitzung wurde von der Landrätin als Aufsichtsbehörde als nicht rechtmäßig beurteilt, weil sie weder die Mindestanforderung einer Ladung erfüllte noch, wie gesetzlich verlangt, durch den Ausschussvorsitzenden erfolgte, sondern durch die Verwaltung.

Das übliche Verfahren, dass ein Nachtragshaushaltssatzung vom Bürgermeister in einer Stadtverordnetenversammlung eingebracht und in einer Haushaltsrede erklärt wird (es handelt sich dabei um ein Zahlenwerk), wurde so außer Kraft gesetzt.

Schlussendlich wurde der Entwurf der Nachtragshaushaltssatzung nur im Parlamentsinformationssystem SessionNet hochgeladen.

Berechtigung der Einberufung eines „Notausschusses“

Die Hessische Gemeindeordnung bestimmt in § 51a, „Eilentscheidung an Stelle der Gemeindevertretung“ (1) folgendes:
„In dringenden Angelegenheiten entscheidet, soweit die Gemeindevertretung für diese Zwecke keinen besonderen Ausschuss eingerichtet hat, der Finanzausschuss an Stelle der Gemeindevertretung, wenn die vorherige Entscheidung der Gemeindevertretung nicht eingeholt werden kann und Gründe des öffentlichen Wohls keinen Aufschub dulden.“

Nur wenn beide Voraussetzungen zutreffen, ist es gesetzlich zulässig, die Rechte der Stadtverordnetenversammlung auf einen Ausschuss gemäß §51a HGO zu übertragen.

Die erste Voraussetzung, „wenn die vorherige Entscheidung der Gemeindevertretung nicht eingeholt werden kann“, war nicht gegeben.

Selbstverständlich kann eine Stadtverordnetenversammlung nur stattfinden, wenn alle coronabedingten Abstandsregelungen eingehalten werden können. Dazu stehen in der Stadt Pohlheim mehrere Räume zur Verfügung. Bei anderthalb Meter Abstand zum Nachbarn braucht es pro Sitzungsteilnehmer*in 2,25 m2. Schon im großen Saal der Volkshalle wird diese Voraussetzung um das 3-fache übererfüllt. In der Sporthalle in Holzheim sogar um das 8-fache :

Die zweite Voraussetzung des §51a HGO für eine „Eilentscheidung an Stelle der Gemeindevertretung“ ist, dass „Gründe des öffentlichen Wohls keinen Aufschub dulden“.
Weder bei der Einladung noch auf Nachfrage wurde uns hierfür eine Begründung genannt, welches öffentliche Wohl gefährdet sei.

Zudem ist nach §98 HGO2 eine Nachtragshaushaltssatzung unserer Einschätzung nach bei den vom Magistrat vorgelegten Haushaltsänderungen gar nicht notwendig.

Fazit: Die erfolgte Einberufung des „Notausschusses“ nach §51a war nicht rechtens weil die dafür gesetzlich notwendigen Voraussetzungen fehlten.

Das wird auch dadurch nochmal bestätigt, dass am 3. September bereits eine reguläre Stadtverordnetenversammlung geplant war und dass nach unserer berechtigten Intervention am 31. August ebenfalls eine reguläre Stadtverordnetenversammlung stattfinden konnte.

Unsere politische Bewertung

Uns geht es darum, auf den Mißbrauch des §51a HGO aufmerksam zu machen, der von der Pohlheimer CDU/FW-Mehrheit dazu genutzt wird, übliche Verfahren außer Kraft zu setzen. Dieses Vorgehen ist – neben der Verwirrung, die es stiftet – nicht gesetzeskonform, wie oben dargelegt wurde und entspricht willkürlichem Handeln.

Wir, die wir diese undurchsichtige und juristisch nicht korrekte Herangehensweise hinterfragen, werden nicht ernst genommen und unser ernsthaftes Bemühen als Wahlkampfgetöse abgetan.

Erfahrungen dieser Art sind in dieser Wahlperiode für uns zum Normalzustand geworden. Wir staunen, mit wie wenig Transparenz und Kommunikationsbereitschaft die CDU-geführte Koalition mit den Freien Wählern meinen, in einer Demokratie agieren zu können.

Nur durch Offenheit, Transparenz und Kontakt kann Demokratie begeistern, bleiben Abläufe nachvollziehbar und für alle überprüfbar.

Wir hoffen, dass die Bürgermeisterwahl und die Kommunalwahl endlich Verhältnisse schafft, die Kooperation, Information, Bürgerbeteiligung, Transparenz und dadurch Begeisterung für demokratische Prozesse nicht nur ermöglicht, sondern sie sogar als Fundament demokratischer Entscheidungsprozesse begreift. Das ist das, was Pohlheim dringend braucht.

Quellen:

(1) http://www.lexsoft.de/cgi-bin/lexsoft/justizportal_nrw.cgi?xid=146137,206

(2) http://www.lexsoft.de/cgi-bin/lexsoft/justizportal_nrw.cgi?xid=146137,110